Leserbrief auf Artikel vom 8.6.02 in der Mitteldeutschen Zeitung : „Wohlstand – bedroht von Mittelmaß“ des Autors Hans-Olaf Henkel 

Leserbrief:

Nachdem Herr Henkel in einer sehr kurzen Betrachtung der französischen Revolution bei mir den Eindruck erweckt, als müsse er dieses Kapitel der Geschichte noch mal ausführlich vermittelt bekommen, geht es ihm um ein entweder Freiheit oder Gleichheit im Bezug auf die Gesellschaft. Seine Meinung bringt dann die Ansicht zutage, dass wir in Deutschland die „Gleichheit“ leider genauso intensiv pflegen, wie es die letzten sozialistischen Staaten  Kuba und Nordkorea tun. Herr Henkel erläutert, dass die Selbstzufriedenheit und „Gleichheit in fast allen Lebenslagen“ unseren Wohlstand bedrohen. Denn der hängt, seiner Meinung nach, ganz entscheidend von den Spitzleistungen einzelner ab. Und den „Spitzen – Leistern“ wird dann auch noch das dicke Auto vor der Tür nicht gegönnt, Neid  ist nach seiner Meinung in Deutschland oft die Folge von Leistung und Begabung. Ein letzter Seitenhieb auf die Lehrer, die seiner Meinung nach ihre Klassen im Gleichschritt zu den vorgegebenen Lernzielen führen und schon schließt Herr Henkel mit einem Ruf nach mehr Vielfalt und Experimenten ab. Fertig!

Was hier als Beitrag eines Ehrendoktors der TU Dresden gedruckt ist, liest sich für mich wie Gesprächsstoff für Stammtische und wie ein neues Startsignal für die Hängemattendiskussion im Schlemmerland Deutschland.

Wer, wie Herr Henkel, der Meinung ist, dass dieser Staat zu einer gleichmacherischen Umverteilungsmaschine verkommenen ist, der übersieht einiges. Die Gesellschaft sieht sich momentan mehr und mehr mit den Forderungen von Wirtschaftskreisen, der Staat möge sich aus allem heraushalten, der Markt müsse alles Regeln, konfrontiert. Der Staat soll nur noch Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zur Verfügung stellen. Wo frage ich, bleiben da Rahmenbedingungen und Mindeststandards für die Menschen? Denn der Markt regelt keine Chancengleichheit und keine gerechte Aufteilung der Mangelware Arbeit, mildert keine sozialen Härtefälle, im Gegenteil. Im eigenen Land tobt ein Wettbewerb um Arbeitsplätze mit, unter anderem, Lohndumping als Folge. Der „Markt“ nutzt im Rahmen der Globalisierung die Leistungsfähigkeit von Menschen in Ländern mit schlechteren sozialen Standards als in Deutschland nur zur Profitsteigerung aus. Ausnahmen bestätigen die Regel. Das der Markt nichts vollständig ausregelt, kann man an den Eckdaten der Konjunktur und an den Zahlen der offenen Stellen und der Arbeitssuchenden sehen. Was das Thema Bildung betrifft, sehe ich keine Klassen die im Gleichschritt zum Klassenziel geführt werden, aber ich habe ständig den Eindruck, als wird vom Bildungssystem verlangt, dass sich die Schulbildung und die Ausbildung junger Menschen „sofort rechnet“. Gespart wird an Lehrern, Schulen fusionieren, gute Rahmenbedingungen für die Vermittlung von Bildung interessieren zu wenig. Von Investition in die Zukunft in Form von Aus- und Weiterbildung bei den Betrieben ist zu wenig zu spüren.

Niemand wird in dieser Gesellschaft ernsthaft Wissenschaftler, Forscher und überhaupt alle Träger von innovativen Gedanken und Projekten ausbremsen wollen. Das diese Gesellschaft Veränderungen nötig hat, um anstehende Probleme zu lösen ist klar, aber bitte ohne dabei die Menschen unseres Landes durch Stammtischgerede und flache Argumentation zu diffamieren.

Im übrigen führt Herr Henkel den Sport als positives Beispiel für die Anerkennung von Spitzleistungen an. Dann sollten wir in der Gesellschaft aber auch den olympischen Gedanken außerhalb des Sports pflegen.

Abschließend finde ich , wer Kuba, Nordkorea und Deutschland auf eine Stufe stellt, sollte Nachhilfeunterricht nehmen, dringend!